Der Knabe singts im Wunderhorn

Сборник, посвященный двухсотлетию знаменитой антологии «Волшебный рог мальчика», а в нем эссе Ольги Мартыновой об этой страшной и увлекательной книге (для читающих по-немецки — под катом).
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ENEKE-BENEKE, WICKELE, WAHNE
von Olga Martynova

An allem vorbei:

an all den dummen Rittern, die ihre Liebsten schwängern, und an den dummen Mädchen, die aus Liebe ins Kloster gehen (geschorener Kopf, schwarzer Mantel, weißer Rock darunter) oder im Kindsbett sterben, und weiter an dummen Rittern vorbei, die sich umbringen wenn sie vom Schicksal der Mädchen hören (auf jedem Grab eine Lilie);

an all den Schätzen vorbei, wie willst du etwas auswählen, wenn es von allem so viel ist (die Heldin vor einer Juwelentruhe, der Held beim Waffenhändler, am liebsten nehmen sie alles;

vorbei an allen verlorenen und wiedergefundenen Königstöchtern;

nur ein wenig verweilen bei der GREUELHOCHZEIT, festgehalten von ihrer Ähnlichkeit mit russischen Ganovenliedern, die dort besonders geliebt wurden, wo man aus Leid oder Langweile etwas zum Mitfühlen und zum Weinen suchte (Nachtasyl, Arbeitslager, Jungpioniercamp); und weiter: vorbei an den Toten und

DEN JUDEN IN PASSAU (sie waren acht, vier sind verbrennet, die anderen vier, die sich bekehren ließen, die gab man zu dem Schwert), was willst du aber mit diesen acht, ein Kaufmann von Venedig oder Jude von Malta und v. a. waren schon genug;

frag nie ein Märchen nach seinem Sinn, sonst verliert es den Zauber, denn der Sinn ist meist spießig, nur der üppige Unsinn der Mädchen verdeckt das;

frag nie eine Ballade nach ihrer Bedeutung, sonst gehst du im Dickicht uralter Binsenwahrheiten verloren;

denn die Volkspoesie ist – wie jede andere – nicht ihrer Bedeutung wegen kostbar, sondern trotz ihr, an ihr vorbei.

ich weiß nicht, wieso man aus den Volksliedern ein Volk von seiner liebenswürdigen Seite kennenlernen können soll,

das doch wohl kaum;

alle die verführten Mädchen (das Kind im Schoß, die Hände im Blut, das Himmeltor ist verschlossen); und die ENGLISCHEN GRÜSSE (mit ihrem verlorenen E, das so aus einem Engel einen Dandy macht): Gegrüßt seist du, Maria, du edle Jungfrau fein; und die Husaren; und die Wirtinnen und Hexen; und der Tannhäuser vom Venusberg; all das von überall Hergeholte, Gelesene, Gehörte, richtig oder (meist) falsch Verstandene und Interpretierte – es ist nur Gelegenheit zu Geschichten,

Lust am Erzählen, Lust zuzuhören;

dennoch:

Gleichwie das Heerpferd zu dem Streit
an allem vorbei reite ich durch die gelblichen Seiten hindurch zu den Kinderreimen ganz am Ende des Buches, denn:

* * *

ich bin vier oder fünf Jahre alt. Die Sonne beleuchtet das mit Kreide gezeichnete Netz vor dem Hauseingang. Ich begreife nicht, wozu man eine Schuhkremdose durch die nummerierten Kästchen jagen soll. Aber ich mache mit: Die Abzählreime vor dem Spiel lassen mich nicht los, Kraft ihrer Unbegreiflichkeit.

Besonders zum Beispiel das Auto (Maschina), das durch den dunkel Wald fuhr, um ein Interesse zu holen und dieses Interesse sollte beim Buchstaben „S“ raus sein:

Schla-maschina-tjomnym-lessom
sa-kakim-to-interessom
inte-inte-interess
wychodi-na-bukwu-“S”!

Fuhr im dunklen Wald ein Auto
Jemandes Interesse holen.
Inter-Inter-Inter-Ess’
Tritt heraus beim Laute „S“.
(Übersetzung: Elke Erb)

Diese Reime waren die ersten, die mir ein lyrisches Gefühl eingaben. Obwohl ich von zu Hause schon einige (darunter sehr gute) Gedichte kannte.

Erst diese Abzählreime, die undeutbaren, ließen mich staunen. Und ihr Reiz ist bis heute nicht schal.

Ein, zwei, drei,
In der Dechanei,
Steht ein Teller auf dem Tisch,
Kömmt die Katz und holt den Fisch,
Kömmt der Jäger mit der Gabel,
Sticht die Katze in den Nabel,
Schreit die Katz: Miaun, miaun,
Will’s gewiß nicht wieder taun.

Wieso kömmt der Jäger mit der Gabel und nicht der Fischer, ist doch sein Fisch, oder – wenn es schon der Jäger ist – wieso klaut die Katze nicht eine Waldschnepfe. Und was soll der Jäger mit dem Nabel?

***

Ein Wort, das du hörst, wird deins; ein Wort, das du liest, bleibt in fremdem Besitz. Man rettet die Lieder vor dem Vergessen indem man sie sammelt, aber die Sammlung ist ein Museum. Wohl singt das Vöglein im Vogelbauer, aber der Natur bringt das nichts.

will ich zum Beispiel

eneke-beneke-jeli-wareniki
eneke-beneke-bu *

in einem Gedicht verwenden, sagen mir die Buchstaben: ach was, das haben wir doch längst abgetanzt.

Doch wie im Tiergarten eine aussterbende Tierart erhalten wird, bleibt die
Leichtigkeit des Unsinns immerhin auch im Käfig eines Buches bestehen, in den Abzählreimen und Spielliedchen, in den von den Kindern gereimten, jenseits jeder Moral, jeder Lehre, sogar jeder Unterhaltsamkeit – nicht mal eine Geschichte kömmt dabei heraus – nur Bilder und Wörter, die irgendwann für sich allein zu ihrem Sinn finden – wie das Leben auch, wie seine Bilder und Laute, die – will das nicht glauben – sich irgendwann zu einem einleuchtenden Muster zusammenfügen, und wir werden sehen und staunen und sprechen: Ach so, wer hätte das gedacht, und dabei ist alles so einfach, das lag auf der Hand, nur wir konnten das nicht begreifen. Die unbegreifbaren Elemente dieses Musters sind überall, je verworrener desto anziehender.

Deshalb –

Ahne, krahne, wickele, wahne reite ich bis zum Ende des Buches.

* Russisch: Eneke Beneke aßen Teigtaschen, Eneke Beneke buh.

Der Knabe singts im Wunderhorn: 4 комментария

    • «Волшебный рот мальчика» — это хорошая идея. Надо будет кому-нибудь ее запродать. Даже более или менее ясно, кому.

      Как раз в момент, когда звякнул Ваш комментарий, я читал 82 комментария к Вашей красоте. Извините, ничего прибавить не смог — мои шутки-прибаутки были бы явно неуместны.

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